Bundesliga 2020/21, 2. Spieltag:
VfL Borussia – 1. FC Union Berlin 1:1 (0:0)
Ein halbes Jahr nach Beginn der Kontaktsperre und Zuschauersperre in den Stadien war es uns vergönnt, wieder einmal raus zu kommen. Endlich wieder Borussia-Park… Wir waren zwar einmal da gewesen, als wir im August die Pappkameraden heim geholt hatten, aber dieser Samstag war das zweite Mal überhaupt, dass wir das Siegerland verlassen haben seit der Woche des Runterfahrens im März. Über ein Infektionsrisiko im Stadion hatte ich mir keine Sorgen gemacht. Solange überall geflogen wird oder die Menschen dicht in Straßenbahnen stehen, kann ich auch mal mit gutem Gewissen den glorreichen VfL spielen sehen und so war die Vorfreude in den Tagen vor dem Spiel doch sehr groß gewesen.
Wir kamen gerade von der Tanke in Weidenau, da sah ich Wolfgang Balboa auf der Linksabbiegerspur an der roten Ampel stehen und wir hatten Zeit für einen kurzen Plausch von Auto zu Auto. Und natürlich musste er doch prompt die bösen magischen Worte – einmal ausgesprochen und du bist für immer verloren!!!! – fröhlich, nichts ahnend, ja fast schon trällernd, singend gar, aussprechen…: „Drei Punkte, Ansgar!“ Ja, und immer den Daumen hoch.
Da war es ausgesprochen!!! Die magischen Worte! Normalerweise hätte es jetzt mehr Sinn gemacht, wieder nach Hause zu fahren und sich auf einen entspannten Samstag einzustellen, aber wie das so ist, wir wollten ja noch Yannick und seinen Kumpel einsammeln und waren daher auch in der Verpflichtung, und schnell war der schlechte Gedanke verflogen und wir fuhren zu viert frohgemut auf die Autobahn. Unterwegs ärgerte ich mich noch, dass ich meine Maske zu Hause vergessen hatte, und auf die Ersatzmaske im Benz zurückgreifen musste, diese kleine Gladbach-Maske mit dem neuen Leitspruch Unzähmbar drauf, naja…
Ansonsten war es wie immer, auch mit Stau und Sperrung auf Kreuz Holz, so dass wir durch die Käffer umgeleitet wurden und bei Vickrathberg wieder auf die Bahn konnten. Geparkt wie immer auf dem Edekaplatz und dann gings in den Park. Kaum nur ein paar Menschen unterwegs, im Park trug jeder Maske. Der Name auf meinem Ticket wurde mit meinem Perso abgeglichen, ich guckte die ordnende Person durch die Maske an… – alles wirkte so surreal. Paralleluniversum? Wo bin ich hier? Und was ist das hier? Der Bereich hinter der Nordkurve war menschenleer. Dort, wo ich mich sonst in freudiger Erwartung auf ein Wiedersehen mit guten Freunden und ein gemeinsames gutes Spiel in die Menschenmassen zu stürzen pflege, klaffte jetzt eine gähnende Leere: Höchstens zwei Duzend Menschen hielten sich dort auf, bis auf die Speise-Inseln… Denn wir waren mit Hunger angereist. Da waren wir nicht die Einzigen, die so gedacht hatten. Die externen Gastro-Anbieter waren nicht anwesend und so konzentrierte sich alles auf die paar Fressinseln im Norden. Das, was verhindert werden sollte trat ein, denn die Besetzungen in den Fressinseln taten wohl ihr Bestes, aber es ging trotzdem alles sehr sehr zäh und es staute sich. Manche Leute musste 20 Minuten oder länger warten.
Ich traf derweil noch kurz Frau Ütsch und Omi Helga in Block 13 und Becker60 mit Timo in 15 auf einen lieben Plausch und dann ging irgendwann auch das Spiel los. Mein Platz heute war ungewohnt gewesen, viel zu weit oben. Du hast zwar eine tolle Spielübersicht und kein Netz vor Augen aber bist eben trotzdem viel zu weit weg. Da lohnt sich das Brüllen nicht. Nur wenn mal das Stadion ganz still ist. Da hörte man schon mal einen Einzelruf mit sowas wie …Schiri…!!! Nun, ich persönlich hätte dem Herrn Stieler ja Hausverbot erteilt, ihn zur Persona non Grata erklärt. Oder für vogelfrei erklärt. Oder ihn freundlich aber bestimmt zum Telefon gebeten. Irgendwas. Aber an Stieler hatte es nicht gelegen. Der kann auch manchmal gut, oder besser: zurückhaltend pfeifen, und trotzdem gewinnen wir nicht die Spiele unter seiner Leitung. Hat sowas wie Dumm gelaufen irgendwie.
Das Spiel war in der ersten Halbzeit fahrig, viele Fehlpässe auf beiden Seiten, nur ein paar Chancen von Gladbach durch Pléa und ein Lattenschuss von Union. Und immer wieder Hofmann, der sich festrannte. Ich vermisste Herrn Assauer neben mir, sein Gemecker über den Ex-Dortmunder, ja heute, heute hätte Herr Assauer sämtliche Höchststrafen rausschreien müssen, so oft rannte sich Hofmann fest. Eigentlich hatte er sonst kein schlechtes Spiel gemacht, aber so stand ich alleine da oben und musste mir diese vielen Höchststrafen selbst ausdenken.
So, und dann saß ich da, am Rand der Sitzreihe direkt neben der Treppe. Christine versetzt hinter mir, dahinter wiederrum versetzt Yannick. Jeder für sich. Irgendwie. Ich nestelte derweil die ganze Zeit mit den Fingern an dieser Kack-Maske rum, die mir zu klein ist, denn meine Brille beschlug andauernd. Vereinzelt gab es Wechselgesänge, aber alles sehr schleppend und leise. Das lag nicht an fehlendem Engagement. Die Stimmungsmacher gaben alles, es blieb nur alles in den Stoffen der vielen Maskenträger hängen. Schien mir zumindest so.
Die zweite Halbzeit begann in meinen Augen schwungvoller, in beide Richtungen, doch urplötzlich und unvermittelt schlug es nach einer Ecke im Tor vor der Nordkurve ein, als Thuram goldrichtig stand und abfälschte. ToooooR! Döpp Döpp Döpp…! Danach erspielte sich die Fohlenelf noch ein paar Chancen, aber alles war unausgegoren und wirkte pomadig. Nils Schlotterbeck hatte ja schon zuvor mal frei köpfen dürfen und war offensichtlich überrascht, dass er damit eine gute Chance liegen gelassen hatte. Zumindest ist es dreist, so was noch mal zu versuchen. Und das noch auswärts. Arschloch! …wobei: ganz blöd, sowas überhaupt zweimal zuzulassen. Ja, der junge Schlotterbeck hat unsere ganz gut schlottern lassen, so einen Angsthasenfußball spielten die die letzten Minuten zusammen. Am Ende war man froh, dass wir nicht verloren hatten. Dann endlich hatte das Elend ein Ende. Allein da oben, vermummt hinter dunstigen Brillengläsern, allein, ohne Freunde, aber zum Glück meine Frau an der Seite und Yannick. Vermummt, alles gedämpft, wie in Watte.
Nach dem Spiel trafen wir noch Becker60 und Timo kurz hinter der Kurve, sowie Hille im Schlepptau von Magic Family. Ach, das sind die Momente, wofür wir fahren! Auch wenn das nur ’ne Minute ist, die man hat, kurz Hallo zu sagen. Lichtblicke, Augenkontakte, Scheiß Spiel, kacke! Momente der Normalität, aber alles in Maske, und wir müssen dann alle los. Alles ist gedämpft. Wie in einem Science-Fiction-Film aus den 70ern. Fehlt nur noch der blutrote Himmel. Voll die Seuche!!!! Was ist jetzt Realität? Was wird nächstes oder übernächstes Jahr Realität sein? Ist das jetzt nur ein kleiner Ausrutscher, sozusagen ein Sabbath-Jahr?
Und dann ist man wieder auf dem Weg zum Auto. Die Edeka-Leutchens waren zum Unglück so geschickt und haben die Schranke zum benachbarten Aldi zugesperrt, so dass der ganze Parkplatz nur über eine Ausfahrt hinter einer Ampel, die nur drei Autos durchlässt, abfließt und so den Platz in eine Stinkwolke produzierende Blechlawine verwandelt war, durch die verzweifelt andere vermummte Besucher des Supermarktes mit verzweifeltem Blicken einen Weg durch die qualmenden Automassen suchten. Eine geschlagene halbe Stunde standen wir auf dem Parkplatz und ließen den Benz im Stand warmlaufen, bevor wir Stau frei nach Hause fahren konnten.
Was wir aber nicht gewusst hatten, ist, dass wir trotz des erbärmlichen Punktes gegen Union Berlin gleich zum Produkt aus Leipzig und Leverkusen gepunktet haben sowie zu den Batzis und den Zecken sogar einen Punkt aufholen durften. Also im Verhältnis der Topadressen in der Bundesliga zu keinem verloren. Also dennoch ein erfolgreicher Spieltag, auch wenn mehr zu holen gewesen war.
Und die Covid-19-Pandemie? …die Situation? Äh du, du weißt schon was…?
Ich empfand das Hygienekonzept als streng und somit als gelungen. Die Stimmung war mäßig, denn die Leute waren alle sehr diszipliniert und hielten Abstand bzw. trugen die Masken konsequent. Von daher gelungen. Wer mal nochmal ein Fußballspiel sehen will, der kann das gerne tun. Aber es ist anders. Eher wie auf’m fremden Dorfplatz. Wer’s nicht sehen will, hat auch nicht viel verpasst. Denn ganz ehrlich? Es ist erkauft. Erkauft von der Stimmung. Wie in Watte…