Zugegeben: Während der pandemiebedingten „Stadionpause“ hat man nicht jeden einzelnen Aspekt der Stadionbesuche vermisst. Nach einem Spiel unter der Woche um 02:40 Uhr ins Bett zu fallen, während der Wecker um 06:00 Uhr wieder klingelt, gehört sicherlich zu den eher unliebsamen Momenten. Die Erfahrung zeigt aber, dass das Aufstehen morgens bedeutend leichter fällt, wenn Borussia tags zuvor einen Sieg errungen hat. Und wenn es sich dabei noch um einen Kantersieg über den FC Bayern handelt, sind selbst die dreieinhalb verbliebenen Stunden Schlaf eigentlich noch zu viel!
Auch mit etwas Abstand ist das, was sich den 48.500 Zuschauern am Mittwochabend im Borussia-Park bot, nicht ganz in Worte zu fassen. Surreale, fast absurde 90 Pokalminuten sorgten für ungläubige Gesichter in Fußballdeutschland und dürften jedem einzelnen von uns noch lange in Erinnerung bleiben.
„Die Leute gehen ins Stadion, weil sie nicht wissen, was passiert“ – Wenn ich den Abend in einem Satz beschreiben sollte, würde ich wohl dieses Zitat von Sepp Herberger wählen. Der Satz, der in den vergangenen Bundesligasaisons, zumindest im Hinblick auf die Meisterfrage, fast schon ironisch daher kam, traf am Mittwochabend den Nagel auf den Kopf. In der Tat hätte sich einen solchen Verlauf wohl niemand auch nur ansatzweise ausmalen können. Auch wenn sich jeder Borusse (und wahrscheinlich auch jeder Nicht-Bayern-Anhänger) im Vorfeld zumindest kleine Hoffnung auf ein Weiterkommen machte, schienen die Vorzeichen klar für die Gäste aus der bayrischen Landeshauptstadt zu sprechen. Selbst in Abwesenheit von Julian Nagelsmann präsentierten sich die Münchener zuletzt gewohnt formstark und souverän, während die Formkurve der Borussia doch merklich schwankte. Auch die aus Borussias Sicht düstere Pokalbilanz gegen den FC Bayern sprach zunächst eine deutliche Sprache.
Doch der Fußball orientiert sich nicht an Bilanzen oder Formkurven. Vorberichte, Matchpläne und tagelange Spielvorbereitungen können innerhalb weniger Sekunden über den sprichwörtlichen Haufen geworfen werden. So auch am Mittwochabend, als Borussia in Person von Manuel Koné bereits nach 76 Sekunden auf die Siegerstraße einbog. Man kann durchaus schlechter in ein Pokalspiel starten… Beflügelt von diesem Blitzstart lief Borussia die Gäste weiterhin sehr früh an und überzeugte durch Zweikampfstärke und schnelles Umschaltspiel. Ein Spielstil, der typisch für eine Mannschaft von Adi Hütter ist und Borussia auch schon in Wolfsburg zwei frühe Tore bescherte. Am Mittwochabend ging der Plan ebenfalls voll auf. Borussia erspielte sich weiterhin fleißig Chancen und so war es nach 15 Minuten Ramy Bensebaini, der eine herrlich anzuschauende Kombination erfolgreich abschloss. Ihm war kurze Zeit später auch die Ausführung des etwas schmeichelhaften Elfmeter vorbehalten, mit dem er den Spielstand nach nur 21 Minuten auf 3:0 stellte. Die Bayern sind eine der wenigen Mannschaften, die man selbst bei einem Drei-Tore-Vorsprung nicht abschreiben sollte. Das Team von Dino Toppmöller präsentierte sich in der Folge auch ballsicherer und machte nicht den Eindruck, sich anstandslos geschlagen zu geben. Eine gut organisierte Defensive auf Seiten der Borussia sorgte allerdings dafür, dass die bayrischen Angriffsbemühungen harmlos blieben und Yann Sommer eine ruhige erste Halbzeit verbringen durfte.
Auch in der zweiten Halbzeit bot sich ein ähnliches Bild. Die Bayern waren früh auf dem Platz zurück und machten einen hoch motivierten Eindruck. Doch spielerisch lief nicht sonderlich viel zusammen beim deutschen Rekordmeister, was aber maßgeblich auch daran lag, dass Borussia den Matchplan weiter gnadenlos umsetzte. Bei so einer Leistung ist es eigentlich nicht fair, Spieler gesondert hervorzuheben, aber gerade die Zentrale um Denis Zakaria und Manu Koné, ließ das bayrische Pendant um die deutschen Nationalspieler Leon Goretzka, Joshua Kimmich und Thomas Müller doch sehr alt aussehen. Auch vorne konnte sich Borussia auf einen Stürmer in Topform verlassen. Breel Embolo stellte die bayrische Innenverteidigung immer wieder vor Probleme. Generell hatte die defensive Zentrale des Rekordmeisters wohl von allen Gästeakteuren den schlechtesten Tag erwischt. Entgegen aller Erwartungen im Zuge der abgewendeten Haftstrafe, schaffte es Lucas Hernandez nicht, befreit aufzuspielen (Achtung Wortwitz!) und auch Dayot Upamecano hatte Borussias Offensive um den bereits erwähnten Breel Embolo nicht viel entgegenzusetzen. Der Schweizer Nationalstürmer nutzte dies nur sechs Minuten nach Wiederanpfiff eiskalt und traf zum vierten Tor für Borussia. Kurze Zeit später enteilte er der bayrischen Defensive erneut und ließ den Borussia-Park zum fünften Mal an diesem Abend explodieren. Seiner ohnehin herausragenden Leistung hätte er in der 72. Minute fast die Krone aufgesetzt, verpasste den Hattrick aber knapp.
Die durchweg ungläubigen Gesichter im Borussia-Park gingen somit langsam aber sicher in die Siegesfeier über, während die Borussia ihre Linie auf dem Platz weiterhin konsequent durchzog (Christoph Daum wäre stolz gewesen…). Auch die Gäste kamen noch zu der ein oder anderen Torchance, konnten Borussias Defensive und den einmal mehr souveränen Yann Sommer allerdings nicht ernsthaft in Bedrängnis bringen. Gut und gerne hätten auch auf der anderen Seite noch weitere Treffer fallen können, sodass mein auf der Hinfahrt im Spaß abgegebener 8:0-Tipp durchaus im Bereich des Möglichen lag. Großspurig hatte ich angekündigt, dass wir in diesem Fall das Auto stehen lassen und das Nachtleben der Mönchengladbacher Altstadt erkunden würden. Es fiel leider kein weiteres Tor. Vielen Dank auch Borussia!
Doch auch die Siegesfeier nach Abpfiff hatte es stimmungsmäßig in sich. Gemeinsam mit der Mannschaft sorgte die prall gefüllte Nordkurve hier für ein paar Highlights und durfte sogar „Die Seele brennt“ endlich zurück im Stadion begrüßen. Die Bewertung der Stimmung während der vorangegangenen 90 Minuten fällt mir überraschenderweise aber doch eher schwer. Die Nordkurve hatte sicherlich schon bessere Tage, was im Hinblick auf den Spielverlauf eigentlich verwundert. Dieser Umstand fiel aber kaum ins Gewicht, da die Konkurrenz an diesem Abend auch recht überschaubar war. Der bayrische Anhang nahm den Auftritt der eigenen Mannschaft nur schweigend hin und war in Abwesenheit der aktiven Fanszene 90 Minuten lang akustisch nicht zu vernehmen.
Abwesend waren leider auch einige „bekannte Gesichter“ der Festung, die dem Spiel aus den unterschiedlichsten Gründen nicht beiwohnen konnten. Schade, dass ihr nicht dabei wart; ihr habt etwas verpasst! Der guten Laune tat dies keinen Abbruch und so führte uns der Weg gegen Mitternacht zurück ins Siegerland (leider nicht in die Gladbacher Altstadt – welch Enttäuschung…).
Auch einige Tage später ist die gesehene Leistungsexplosion der Borussia noch unerklärlich. Das nächste Ziel kann nur sein, auch in der Liga konstante Leistungen zu zeigen und in den nächsten Wochen einige Tabellenplätze nach oben zu klettern. Schon am Sonntag bietet sich da die erste Chance gegen den Aufsteiger aus Bochum. Hier erwartet Borussia ein gänzlich anderer Gegner, der sowohl taktisch als auch mental eine nicht zu unterschätzende Herausforderung darstellen dürfte. Selbstverständlich sollte es aber unser Anspruch sein, die spielerisch unterlegenen Bochumer zu schlagen und drei weitere Punkte einzufahren!
Auch der Borussia-Park, allen voran die Nordkurve, ist dann wieder gefordert. Dass auf dem Platz noch einmal über 90 Minuten alles funktioniert, ist leider eher unwahrscheinlich. Hier sind wir Fans in der Pflicht, der Mannschaft auch in schwierigeren Phasen des Spieles bedingungslos den Rücken zu stärken. Allerspätestens seit Mittwochabend sollte auch der oder die Letzte begriffen haben, dass die Mannschaft es verdient hat. Lasst uns gemeinsam für die nächsten drei Punkte Vollgas geben!
Wir sehen uns im Stadion! WIR sind Borussia!