Träume, Tabellenführung und Thomas Hitzlsperger

Der Freitagabend des 19.08.2011: Dank eines Doppelpacks von Marco Reus, eines Elfmeters von Filip Daems und eines Kopfballtors von Raul Bobadilla setzt sich Borussia nach drei Spieltagen an die Tabellenspitze der Bundesliga. Der 4:1-Sieg über den VfL Wolfsburg, trainiert von Felix Magath, gespickt mit diversen Topstars wie Patrick Helmes, Thomas Hitzlsperger oder dem heutigen Bayern-Sportdirektor Hasan Salihamidzic (ausgewechselt in der 23.Minute), katapultiert die Mannen von Lucien Favre in gänzlich unbekannte Sphären.

Genau elf Jahre später wiederholt sich Geschichte. Zumindest teilweise und wenngleich auch mit etwas Wohlwollen.

Der Freitagabend des 19.08.2022: Borussia setzt sich mit einem Heimsieg nach drei Spieltagen erneut an die Tabellenspitze der Bundesliga. Der Gegner heißt nun zwar Hertha BSC, der Sieg ist nicht mal annähernd so glanzvoll wie der oben genannte und da der FC Bayern seine Dominanz am Sonntagabend in der Bundesliga noch einmal eindrucksvoll unter Beweis stellt, besitzt die Tabellenführung auch nur vorübergehenden Charakter. Die sich elf Jahre später wiederholende Tabellenführung ist dennoch eine schöne Anekdote und vor allem ein Grund, warum sich jeder Borusse bereits jetzt auf den 19.08.2033 freuen sollte!

„Gladbach erobert Tabellenspitze“ – so war es am Freitagabend noch in vielen Sportzeitungen zu lesen. Das Verb „erobern“ klingt dabei eigentlich viel spektakulärer, als es das Spiel verdient hatte. Wie so oft wird vom Freitagabend wohl auch diesmal mehr das „Drumherum“ als das Spiel an sich in Erinnerung bleiben. Anreisen zu Freitagsspielen in Mönchengladbach stehen immer ein bisschen in der Grauzone zwischen „losgelöster Wochenendsstimmung“ und „Feierabendverkehr auf nordrhein-westfälischen Autobahnen“ und haben für mich persönlich deshalb auch immer einen gewissen Reiz. Schwierig gestaltet sich dabei eigentlich immer nur die Suche nach einem geeigneten Fahrer, die wir auch diesmal wieder erst „auf den letzten Drücker“ lösen konnten. Konsequentes Scouting und zähe Verhandlungen führten aber glücklicherweise noch zum Erfolg und so brach unser Auto in durchaus ungewohnter, aber auch schlagkräftiger Besatzung auf, die ihr Ziel nach einer wilden Hinfahrt noch früh genug erreichte. Die noch vorhandene Zeit wurde prompt für ernsthafte Analysen und die üblichen Fachsimpeleien bei diversen Kaltgetränken genutzt, die selbst nach der Hinfahrt noch überraschend gut schmeckten.

Freitag, Flutlicht, Fahnen!

Wenig überraschend las sich dagegen die Aufstellung, die Daniel Farke auch im dritten Saisonspiel nicht veränderte. Die mittlerweile wohl eingespielte Elf tat sich jedoch auch heute schwer, die Lücke in der gut strukturierten Defensive zu finden. In der Zentrale wirkte das Berliner Mittelfeld um Suat Serdar und Lucas Tousart zunächst etwas griffiger und konnte die ein oder andere Abschlussmöglichkeit herausspielen. Wirklich in Bedrängnis geriet das Tor von Yann Sommer dabei allerdings nicht. Borussias Offensive, allen voran Alassane Plea und Marcus Thuram, bot sich ebenso die ein oder andere Abschlussgelegenheit, die zunächst ungenutzt blieb und so musste dann eben etwas Glück für die Borussia herhalten.

In der letzten Woche sprach ich davon, dass Patrick Herrmann bei seinem Handspiel kurzerhand zum Faustballer wurde. Welche Sportart sich Maximilian Mittelstädt dagegen heute ausgesucht hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls dürfte sein Handspiel in dieser Woche noch etwas deutlicher und vielleicht auch noch etwas vermeidbarer gewesen sein. Alassane Plea nahm das Geschenk dankend an und verwandelte den fälligen Elfmeter zum 1:0, das gleichzeitig den Pausenstand markierte.

In der zweiten Halbzeit bot sich den 48.000 Zuschauern im Borussia-Park dann ein recht unansehnliches Bild. Borussia kam fahrig aus der Kabine, der Hauptstadtclub wusste die Ungenauigkeiten jedoch nicht so recht zu nutzen. Die Mannen von Daniel Farke waren nichtsdestotrotz weiterhin um Spielkontrolle bemüht und wurden im Spielaufbau kaum einmal von der Berliner Hertha in Bedrängnis gebracht. Eine wirkliche Lücke in der gegnerischen Defensive tat sich jedoch ebenso wenig auf und so bot sich allen Beteiligten eine eher zähe Kost. Die größte Chance das Ergebnis auf 2:0 zu stellen hatte nach knapp 68 Minuten Jonas Hofmann, der den zweiten Handelfmeter allerdings vergab. Böse Zungen behaupten, der Nationalspieler hätte die Energie, mit der er sich in der Diskussion um den Elfmeterschützen gegen drei andere Borussen durchsetzte, lieber in seinen Schuss investiert, aber diese Polemik spare ich mir an der Stelle. Die nun in Überzahl agierende Borussia ließ auch so kaum noch was anbrennen und hatte zunächst etwas Pech, dass Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck den dritten (aus meiner Sicht eigentlich recht klaren) Elfmeter nach einem Foul an Florian Neuhaus verweigerte. Als Kevin-Prince Boateng knapp zwei Minuten vor Schluss eine scharfe Hereingabe um knappe zehn Zentimeter verpasste, glichen sich Glück und Pech dann irgendwie doch noch aus und Borussia überstand die restliche Spielzeit unbeschadet.

Die Nordkurve war ohnehin schon zehn Minuten vor Schluss in das euphorische „Allez, allez, allez…“ übergegangen, in das der gesamte Borussia-Park nach kurzer Zeit ebenfalls einstimmte. Aus meiner Sicht werteten diese überragenden zehn Minuten die gesamte Stimmung am Freitagabend noch einmal von „durchschnittlich“ zu „ordentlich“ auf und so wurde der knappe Heimsieg und die vorübergehende Tabellenführung kurzerhand auch noch mit dem gleichen Lied besungen. Die 1.500 angereisten Gäste aus der Hauptstadt waren über 90 Minuten relativ selten zu vernehmen und holten aus der vergleichsweise geringen Anzahl immerhin das weitgehend Möglichste heraus. Als Dank gab es vom Stimmungskern der Nordkurve dann nach Spielende auch die passende Verabschiedung mit ein paar netten Worten für den Nachhauseweg.

Ob dieser für die Gästefans auch so nervenraubend war, ist mir leider nicht bekannt. Mindestens für alle Borussen zeigte sich die Infrastruktur rund um den Mönchengladbacher Nordpark jedenfalls mal wieder von ihrer „besten“ Seite und so sorgten Zugausfälle und Baustellen noch für lange Staus und lange Gesichter auf dem Heimweg. An solchen Abenden fragt man sich immer wieder, warum um alles in der Welt Mönchengladbach nicht als Austragungsort für die EM 2024 in Betracht gezogen wurde…

An den eingefahrenen drei Punkten ändert aber zum Glück auch die – vorsichtig formuliert – „ausbaufähige“ Infrastruktur etwas. Dass es in Mönchengladbach nicht nur infrastrukturell, sondern derzeit auch sportlich (und vielleicht auch personell für Roland Virkus?) noch eine Menge zu tun gibt, dürfte momentan von keiner Seite bezweifelt werden. Dass die bislang wenig glanzvollen Auftritte aber letztlich eine gewisse „Mentalität“ der Mannschaft erkennen ließen und zu zufriedenstellenden sieben Punkten aus drei Spielen reichten, stimmt erstmal grundsätzlich optimistisch. Nun dürfte mit dem Rekordmeister aus der bayerischen Landeshauptstadt die schwierigste und zugleich vielleicht auch einfachste Aufgabe auf Borussia warten. Ich bin sehr gespannt, wie der „Farke-Fußball“ gegen die scheinbar übermächtigen Münchener (Torverhältnis 15:1 nach drei Spielen!) gelingen wird. Der Optimismus, dass Borussia dem Ruf des „Angstgegners“ mal wieder alle Ehre macht, hält sich im Hinblick auf die Form der Bayern ehrlich gesagt eher in Grenzen. Zum Glück hält der Fußball immer wieder Überraschungen bereit und Träumen darf man ja auch noch. Vielleicht reicht uns ja auch erstmal der Traum von einer Tabellenführung nach dem vierten Spieltag…

Auf geht’s Borussia! Alles für den Auswärtssieg!

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